Etappe 4 – Nyons

4. bis 6. Juli 2017, Nyons, Hotel

Es war erbarmungslos schön hier. Anders lässt es sich nicht sagen. Alle Klischees über die Provence bewahrheiteten sich mit jedem Tag von neuem. Lichtumluftet schlenderte ich durch verschlungene Gassen, umgeben von niedrigen, alten, krummen Häusern. Katzen lagen auf den Mauern. Kleine Eidechsen flüchteten vor meinen beschwingten Schritten in die nächste Ritze. Das Hotel war ok, die Besitzerin hingegen erbarmungslos mufflig. Gut zu wissen, man kann also auch in der Provence schlechte Laune haben.

 

Wir befinden uns noch immer im Departement Drôme, auch Baronnies provençales genannt, aber schon in der Region Auvergne-Rhône-Alpes. Das kleine Städtchen zählt 6600 Einwohner. Nyons ist umgeben von bewaldeten Hügeln und dem typischen Strauchbewuchs. Die südlichen Voralpen liegen vor der Haustür, zwei Gebirgsachsen laufen hier zusammen: die Nord-Süd-Achse von Vercors und die Ost-West-Achse der Provence. Das Land ist von niedriger und mittlerer Höhe. Der höchste Berg ist etwa 1400 Meter hoch. Kalkstein und Mergel bestimmen das Gesteinsbild.

Die mediterrane Vegetation bietet außerdem Lorbeer, Feigenbäume, Olivenbäume, Aprikosen, dazu wilde Pfingstrosen und Orchideen. Es soll Gemsen, Biber, Geier, Königsadler, Fledermäusse (zumindest das kann ich bezeugen) und allerlei Reptilien-Getier geben.

Die Region ist bekannt für seine schwarzen Oliven und die Herstellung von hochwertigem Olivenöl. Die milde feine Olivensorte Tanche wird als schwarze Olive von November bis Februar geerntet. Den Olivenbaum gibt es seit über 9000 Jahren im Mittelmeerraum. Ursprünglich beheimatet in Syrien hat der Mensch ihn im gesamten Gebiet um das Mittelmeer verbreitet und kultiviert. Der Olivenbaum ist genügsam, er wächst auf sandigem, kalkreichen Boden. Er braucht viel Wärme, aber nur wenig Wasser.

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Ein Tag begann mit Shopping: Der Sommerschlussverkauf lockte auch hier. So probierte ich an. Erfolglos begab ich mich zum zweiten wichtigen Tagesordnungspunkt, dem Frühstücks-Capuccino, gegen Mittag. Ein Café-Restaurant, das auch von Einheimischen frequentiert wird. Dazu gab es Lektüre der regionalen Tageszeitung Le Tribunal. Regionalpolitik zu Querulenzen um ein Flughafen-Projekt mit angebundenen Industriegebiet (selbst in der Provinz gibt es einen Problem-Flughafen), unerbittliche Konflikte zwischen Landwirten, die Schädlingen mit Pestiziden zu Leibe rücken und Umweltschützern, die Bienen und andere Insekten vor Vergiftung bewahren wollen. Artikel zu unzähligen Konzerten von lokalen und überregionalen Bands, Sportevents von Radsport- über Kanu- bis Petanque-Wettbewerben. Bekanntmachungen von Hochzeiten und Verabschiedungen von zukünftigen Pensionären in wichtigen oder weniger wichtigen Positionen fehlten auch nicht. Das volle Leben auf dem Land.

Die Franzosen nahmen derweil ihr Mittagsmenü ein. Hier gilt noch für alle Geschäfte die Mittagspause (la sieste) von 13 bis 15 Uhr. Ich nahm mein Stück Pizza und ein Pain au chocolat am Fluss Eygrues zu mir. Eine Einheimische nutzte ihre Mittagspause für ein Sonnenbad auf den Steinen des Flussbettes.

 

Gestärkt ging es zur Distillerie Bleu (Blau), die ätherische Öle unter anderem von Thymian, Rosmarin und aktuell von Lavendel herstellt. Bei der Führung der Besitzerin, umgeben vom beruhigenden herben Geruch des Lavendels, erfuhr ich einiges über Geschichte und Herstellung dieses Familienunternehmens, gegründet in 1930er Jahren. In den 1990er Jahren zurückgekauft, setzten die Kinder die Produktion fort. Die Manufaktur wurde nach EU-Vorgaben umgebaut. Die Dampfbehälter mussten sich über der Erde befinden, also nicht, wie traditionell üblich, im Keller.

Von DEM Lavendel zu sprechen, ist allerdings die verkürzte Variante. Denn es gibt drei Lavendelarten, zumindest in der Provence. Der echte oder feine Lavendel wird meist für Düfte und Parfums verwendet. Er ist die edelste und teuerste Art. Die Pflanze wächst in 500 bis 1500 Metern Höhe. Der Speick-Lavendel gedeiht schon auf Höhen von 300 bis 600 Metern.

Und schließlich der Lavandin: ein natürlicher Hybrid aus den beiden Sorten. Es ist vor allem dieser, der das (Postkarten-)Bild von der blauen Provence prägt, da man ihn industriell seit Anfang des 20. Jahrhunderts auf großen Feldern anbaut. Quantitativ gibt er mehr her, seine Duft-Qualität ist eher mittelmäßig. Das auch immer die romantischsten Vorstellungen gemeine Kratzer bekommen müssen. Die Drôme im Ganzen ist ein wichtiger Produzent von Pflanzen wie Rosmarin, Lavendel, Salbei und Eukalyptus für Düfte und für medizinische Zwecke.

 

Noch tiefenentspannter als eh schlenderte ich danach ein Weilchen durch die Altstadt und kaufte die Ingredienzen für mein Abendbrot zusammen. Dann begab ich mich auf einen Hügel über der Stadt. Nach einer kurzen gefahrenvollen Wanderung auf steinigem, steilem Weg fand ich das perfekte Plätzchen, um dort bei Sonnenuntergang mit Baguette, Ziegenkäse, Gurke und Aprikose diesen anstrengenden Tag gebührend zu verabschieden. Es ist übrigens Aprikosen-Zeit, überall kann man sie an kleinen Ständen kaufen, die Obstbaumplantagen im Umland hängen voll der süßen Früchte. Ich entledigte mich meiner lang gepflegten Aprikosen-Abneigung – man soll sich schließlich den lokalen Gepflogenheiten öffnen. Es war zu meinem Schaden nicht.

 

Auf einem meiner Spaziergänge durch die Altstadt stieg ich das verwinkelte Gassenlabyrinth zu einem alten Turm aus dem 13. Jahrhundert hinauf, um eine Zigarette zu genießen, drangen unerwartet heimatliche Klänge in mein Ohr. Eine junge Frau spann mit ihrem Sohn eine Superhelden-Geschichte, auf Sächsisch. Nachdem ein freundlicher alter Herr, der gerade seine Blumen goss, jedem von uns Aprikosen von seinem Baum schenkte, sprach ich sie an. Wir teilten uns meinen Wein und sprachen über dies und das, Urlaubserfahrungen und … die Arbeit. Ja, die Arbeit ist auch unter der südlichen Sonne nie weit entfernt. Wenigstens die Gedanken daran. Manu und Till (7 Jahre) aus Dresden, und gebürtige Leipziger, erkundeten für zwei Wochen auch den Süden.

Sie hat BWL studiert und arbeitete seit sechs Jahren in einer Tischlerei in Dresden, auch und vornehmlich Kommunikationsprobleme mit den Chefs und mit älteren Mitarbeitern, im Umbruch, wir machten uns Luft über den Büroalltag, irgendwie auslaugend, und wenig belebende Einflüsse böte er. Darum entschied sie, eine Ausbildung zur Yogalehrerin zu beginnen. Nun, die zündende Idee für eine Alternative meinerseits fehlt noch. … Ein sehr nette Begegnung.

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