10. bis 13. Juli 2017, Grillon, bei meiner Couchsurfing-Gastgeberin Magali
Von nun an alles Rolle rückwärts, auf derselben Strecke zurück in den Westen der Provence. Per Anhalter ging es mit einem ungewöhnlichen Pärchen und einem leidlich aggressiven Fahrer, der es für meinen Geschmack etwas zu eilig hatte, nach Nyons. Dort mit Salat und Kaffee Zeit tot geschlagen. Weiter mit dem Bus nach Valréas. Im Zustand völliger Erschöpfung von Hitze und Übermüdung hielt ich die Augen gerade noch offen, bis mich abends Magali abholte. Zuerst ging es zu ihrem Elternhaus, das zum Verkauf steht. – Magalis Vater lebte lange Zeit in Rosans. Er sprach provenzalisches Patois. So verbinden sich die Fragmente langsam. – Sie wässerte den ausgedorrten Garten. Danach wusch sie noch das Auto. Endlich zu ihr, Dusche, Abendessen mit Salat, Melone und Ziegenkäse. Wieder die Herzlichkeit eines Menschen, der einen einlädt, bei sich zu wohnen. Ich solle mich wie zuhause fühlen. Sie bot mir an, die nächste, ziemlich teure Unterkunft zu stornieren und bei ihr zu bleiben. Sie wollte mich zu ihrer Arbeit und zum Markt mitnehmen. Ich könne auch ein Rad fahren, das aber noch repariert werden müsse. Ihr jüngerer Sohn Adam (21 Jahre) lebte für einige Monate bei ihr. Meine Schlafstatt nahm ich auf dem Mezzanine im Küchen- und Wohnraum ein. Mauersegler umflogen abends das Haus. Die Fenster gingen nach Osten und Westen. Ein altes Haus mit hohen Zimmern. Im zweiten Stock ließen die Fenster Sicht auf ein Dächermosaik, den Balkon der Nachbarn und einen großen Baum.
Nach den täglichen Aufgaben Couchsurfing-Suche und Texten erkundete ich einen Nachmittag lang das Dorf. Hier leben nun um die 1700 Menschen. Wir sind übrigens im Departement Vaucluse. Die Gassen sind gesäumt von Häusern aus dem 17. Jahrhundert. Gegründet wurde der Ort im 11. Jahrhundert. Im ältesten Viertel, genannt Vialle, ließ man unter der Leitung eines angesehenen Architekten in den 1980ern die Altstadt restaurieren und einige Häuser zu sozialen Wohnungen umbauen. Und es gibt eine super moderne Bibliothek. Einige sagen, es sei fast unmöglich, eine Zikade zu sehen, andere meinen, sie hätten schon viele erblickt. Jedenfalls gelang es mir, eine zu erspähen und fotografisch festzuhalten. Erhebender Augenblick.


Mit Magali und Adam nahm ich mal das Frühstück, mal Mittag oder Abendbrot zusammen ein. Die erste Französin auf meiner Reise, die nicht gerne kocht. Darum gebe es einfache Sachen, die nichtsdestotrotz schmeckten. Ihr Sohn kochte im Gegenteil ganz gerne. Nach seiner Hotelausbildung mit Spezialisierung auf Barmann in Marseille machte er seine ersten Berufserfahrungen in Amsterdam, Utrecht und Monaco. Hier in Südfrankreich arbeitete er den Sommer über in einer Fabrik, die Verpackungen aus Plastik herstellt. Er wirkte ziemlich zuversichtlich, lebenslustig, hilfsbereit, dabei trotzdem zurückhaltend. Macht Elektro-Musik, mag aber auch Soul und Jazziges. Und er erklärte gerne (auch die Welt).

Die Mutter (51 Jahre) arbeitet als Wellness-Therapeutin, Vertreterin für Bio-Pflegeprodukte und als Masseurin im Wellness-Spa. Während eines Speed-Einkaufes im Bioladen und am Käsestand auf dem Markt im Nachbarort unterhielten wir uns über die Gegend. Die Leute würden hier zu wenig reisen, darum seien sie etwas engstirnig, konservativ, kleinkariert. Sie mochte die Menschen in Nyons (wo sie auch gelebt hatte). Sie seien offen, freundlich und immer zu einem Gruß bereit. Man käme leichter ins Gespräch, als etwa in Grillon. Magali hält wenig von Macron (Partei LREM La République en marche, dt.: Die Republik in Bewegung): Er führe das aus, was Wirtschaftskonzerne und Pharmaindustrie verlangten. Zu jener Zeit lief eine Petition gegen die Impfpflicht (elf Impfungen bei Neugeborenen), per Gesetz 2018 in Kraft treten soll. Regierung agiere wie ein Diktator, rigorose Umsetzungen ohne Kompromisse. Dieses autoritäre Regieren ist mehreren meiner Gesprächspartner übel aufgestoßen.
Adam verriet mir den Weg zu einem Flüsschen nahe des Hauses. Dort hätte ich meine Ruhe. Also ab in brütender Hitze zum Geheimort. Ein Flussbett aus rundgeschliffenen weißen Steinen. Das Wasser floss spärlich in einem Rinnsal und sammelte sich in wenigen Kuhlen, dank eines Dammes aus Baumstämmen, die Adam mit seinen Freunden gebaut hatte. Man konnte sich immerhin hineinlegen. Die Ufer waren von dichtem Grün und hohen Bäumen bestanden. Es rauschte, schnarrte und summte. Konzert aus Zikaden, Bienen und Vogelstimmen. Die Steine drückten durchs Handtuch. Die Vegetation legte ihren Schatten schützend über mich. So lag ich, mit Blick auf diesen lauten, stillen Ort. Die Zeit blieb stehen. Ich schloss die Augen und hörte die Stille musizieren. Umschlossen von Sommer. Leichtigkeit. Unendlich viel Raum und Zeit ohne Zweck. Manchmal legte ich mich in eine der Naturbadewannen, um mich abzukühlen, gemeinsam mit Libellen, Wasserläufern und schwarzen Schmetterlingen. Die Szenerie – ja, doch, ein weiteres Mal – wie in einem (anderen) französischen Film.