Etappe 10 – Marseille

24. bis 29. Juli 2017, Marseille, Hotel, mit Jana

Mit dem Bus nach Avignon und mit dem Zug nach Marseille, wo Jana schon am Bahnhof wartete. Wir hießen unseren gemeinsamen Urlaub Willkommen: am Vieux-Port (Alter Hafen) mit teurem Kaffee und später in bester Laune am MuCem, dem modernen Mittelmeer-Kulturen-Museum (dessen Fassade unverständlicherweise nicht Janas volle Begeisterung bekam) mit typischem Picknick und Weinchen und langen Gesprächen.

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Das Bett in unserem „modernen“ Hotel war ein kleiner Albtraum (ja, ich habe das Hotel ausgesucht), klein und schwankend wie ein Wasserbett, indem man immer daran Teil hatte, sobald der andere sich bewegte. Die Laune war am nächsten Tag entsprechend gedämpft. An der Streitkultur kann jedoch gearbeitet werden – denn wir hatten keine. Wir grummelten so lange schweigend vor uns hin, bis sich das Grummeln in Luft auflöste. In diesem Falle vom Winde verweht wurde. Mal wurde die eine vom ersehnten Strand-Entspannen aufgescheucht, mal verweigerte die andere jeden Museumsbesuch. So nervten wir uns abwechselnd. Gleichberechtigt immerhin. Auch beliebt war das ewig lange Irren durch die heiße, große Stadt, um ein Plätzchen zum Picknicken zu finden. Bänke und Parks sind der Franzosen Sache nicht. Was wäre ein Urlaub ohne Ärgernis – auf alle Fälle langweilig. Also was uns nicht umhaut, macht uns nur stärker.

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Wir wurden jeden Tag, wenn wir gegen Mittag unser Zimmer verließen und den Schlüssel abgeben mussten, von den Hotelbesitzern gefragt, ob wir gut geschlafen hätten. Nach ein paar Tagen wäre ich ihnen um ein Haar an die Kehle gesprungen. Unser Frühstück teilten wir auf. Jana nahm ihres auf dem Zimmer mit den Zutaten vom Vorabend zu sich, inklusive Kaffee aus dem Hotel-Automaten. Mein Tag begann mit Cappuccino gegen 12 Uhr in einem Café.

Im Gegenwind bummelten wir tapfer durch das Viertel Le panier, kämpften uns an den Docks entlang, um einen Blick auf den großen Hafen zu werfen. Die alten Hafengebäude wurden als high-class Shopping-Meile oder Konzerthalle genutzt.

Drei Tage begleitete uns auf unseren Ausflügen ein sehr heftiger Mistral (40km/h, mit Böen bis 70 km/h). Wir waren erschöpft. Einmal knickten wir wegen des Windes das Picknick und retteten uns in eine Pizzeria. Dort konnten wir uns gerade noch die Vorspeisen leisten. Die sättigten uns und waren ziemlich schmackhaft. Manchmal braucht es nur die kleinen Dinge, um zufrieden zu sein. Jana suchte mit ihrem modernen Device das nächste Spazierziel aus. So im Viertel um den Cours Julien gebummelt, ein lebhafter, ovaler Platz mit vielen Cafés und Restaurants, wo sich Einheimische, Studenten und Touristen tummelten. Man hatte immer was zum Schauen. So wurde er auch Stammplatz für unseren Morgenkaffee gegen Mittag (Janas zweiter, mein erster).

Es war schön, Hitze, Stadtansichten, Bummeln, Blick aufs Meer, Zikadengeschnarr zu zweit zu erleben. Gemeinsam mehr oder minder nette Anmachen abzuwehren oder zu ignorieren. Hier und da ein Kompliment oder ein kurzer Small Talk ist das Schlechteste nicht. Jana kam nach ihrem Geschmack etwas zu gut an mit den blauen Augen und ihrer ganzen Erscheinung. Aufdringliche Blicke. Durchquerten afrikanische, arabische, wohlhabende, alternative Viertel. Viele Obdachlose und Arme. Bunt, wirbelig, laut, energisch, verschiedene Gerüche, Graffitis. Ich mag das abwechslungsreiche Straßenbild und die Stimmungen sehr. Doch es ist auch befremdlich, durch manche Straßen zu laufen (zumal mit einem sommerlichen Trägerkleid), wo fast ausschließlich Männer stehen und Frauen zumindest in dieser Gemeinschaft des öffentlichen Raumes kaum eine Rolle spielen. Wahrscheinlich lesen sie ihren Männern zuhause die Leviten, aber das bleibt einem verborgen. Man kann nur spekulieren. Am alten Hafen verkaufen fliegende Händler ab der Abenddämmerung bunten, blinkenden Schnulli, Tee und Snacks. Kleine Spektakel, Akrobatik, arabische Lieder.

Kulturelles Highlight sollte ein Kinobesuch werden. Im Land der Filmkultur. Ein bemerkenswert schlechter Film, aber kein französischer. Wir konnten uns nach einer halben Stunde gequälter Langeweile und nach verzweifeltem Warten, ob irgendjemand irgendetwas halbwegs Intelligentes oder Interessantes von sich gibt, vor Lachen kaum noch halten. Ich schmiss das Handtuch, wartete draußen – und langweilte mich dort. Jana hielt heldenhaft durch.

Cassis. Ort an der Côte d’Azur. Wir wandeln in Südfrankreichs subtropischer Klimazone entlang der Mittelmeerküste, laufen an subtropischen Hartlaubgewächsen vorbei. (Nicht sehr subtil, aber irgendwo musste es untergebracht werden.) Zikaden begrüßen uns. Und Massen von Touristen. Nettes Städtchen mit Stadtstrand. Wir saßen hinter allen und schauten aufs Meer von Menschen und aufs weite Blau. Picknick. Träge, langsam, gelassen.

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Zur Zeitungslektüre, wieder die La Provence für Marseille, vom 29. Juli. Man führte einige Verdächtige vor Gericht, die einige der verheerenden Waldbrände entfacht hatten. Der alte und populäre Seebär Olivier de Kersauson berichtete von seinen Segeltörns, vom Meer und seinem Marseille, ein poetischer und bisweilen sexistischer Seemann (aber das würde er nur spielen, wie der Journalist versichert), ist Rekordsegler, konzipierte einen neuen Bootstyp, schreibt Bestseller. Einem Chirurgen gelingt es, den abgetrennten Unterarm eines Arbeiters wieder anzunähen. Eine 15-Jährige stirbt an Masern, wobei wir wieder bei der Impfdebatte wären. Ein brutaler Raubüberfall auf eine 70-Jährige. In Marseille lag der Kandidat für den Front national hinter Macrons neuer Partei LREM und der (rechts-)konservativen UMP. Die Gay Pride fand auf der Haupteinkaufsstraße Marseilles statt. Leidenschaftliche Berichte vom Wettkampf im Jeu Provencal, das eine Art Boule-Spiel ist. Ans Licht kam, dass die Arbeitsministerin Muriel Pénicaud als frühere Chefin der Personalabteilung des Konzerns Danone einen Gewinn durch Aktienverkauf von einer Million Euro für sich herausholte, während der Konzern zur selben Zeit 900 Mitarbeiter entließ. Das sei legal, aber recht schlecht für die öffentliche Moral. Zynischer Finanzmarkt und skrupellose Politikerin.

Der letzte Abend endete bei einem ausladendem Abendbrot unter freiem Himmel mit Tabouleh und Hummus von einem klitzkleinen Laden eines libanesischen Ehepaars und Wein an einem Plätzchen, von dem man noch das Meer sehen konnte. Der Abschied von einer mal gemütlichen, mal anstrengenden und gerade darum guten Woche zu zweit in Marseille.

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